Ich bin wertvoll - junge Menschen entdecken Achtsamkeit
Limmattaler Zeitung - Ratgeber vom 23. November 2021
Als ich A. (18-Jährig) im Blinker zum Erstgespräch traf, wirkte sie gestresst, verunsichert und zweifelnd. Nachdem sie im schwarzen Sessel Platz genommen hatte, berichtete sie, dass in ihrem Leben zurzeit alles schieflaufe. Sie habe eine schwierige Beziehung hinter sich, in der Lehre würde nur von ihr gefordert werden und zu Hause fühle sie sich nicht mehr wohl. All dies mache sie unzufrieden und sie fände einfach keine Ruhe. Die Gedanken in ihrem Kopf kreisen ohne Unterbruch. Sie fühle sich der ganzen Situation nicht mehr gewachsen. Ihr Ziel sei es, ihr Leben wieder in ruhigere Bahnen zu führen und zufriedener mit sich selbst zu sein.
Auf meine Frage, was sie bis jetzt zur Selbstunterstützung ausprobiert habe, erzählte sie: „Ich gehe oft in der Mittagspause spazieren, oder schreibe meine Gedanken in mein Tagebuch. Dann fühle ich mich besser und irgendwie ruhiger“. „Instinktiv“ machte sie genau das, was ihr guttat. Sie suchte eine möglichst reizarme Umgebung, um für einen Augenblick die Aufmerksamkeit auf ihr eigenes Empfinden und ihre Bedürfnisse zu richten. So flacht bei ihr die Anspannung ab. Ohne es zu wissen hatte A. eine Achtsamkeitsmethode angewendet.
Achtung der wertvollen eigenen Qualitäten
Im Rahmen der Beratung folgte eine Übung mit A., um die Wahrnehmung und Achtung der eigenen wertvollen Qualitäten (menschlichen Eigenschaften) zu stärken. Zur nächsten Sitzung brachte sie folgenden Text mit (kleine Auswahl aus ihrem Tagebuch):
„Welche Qualitäten (Eigenschaften) an mir sind wertvoll?
Eigentlich so Vieles. Aber weshalb fällt mir gerade nichts ein? Verdränge ich es zu sehr? Sind mir diese durch das gar nicht bewusst? Es kann gut möglich sein. Ich bin ein gefühlvoller Mensch. Ich erlebe viele Emotionen. Es ist wertvoll fühlen zu können. Ich bin kein kalter Mensch. Nichts geht einfach an mir vorbei. Ich bin tapfer. Ich muss so vieles durchstehen oder stehe es noch durch. Ich leide innerlich, doch ich bin tapfer. Mann, ich lasse meinen Kopf zu viel mitspielen. Es ist schwierig, aber ich arbeite dran. Ich möchte immer Harmonie mit allen. Ich helfe gern den Menschen in meiner Arbeit und in meinem Umfeld. Ich versuche mein Leben in den Griff zu kriegen. Mich selber gernhaben. Mich selber besser zu kennen. Ich bin kein schlechter Mensch. Eigentlich habe ich ein sehr grosses Herz. Vielleicht fühle ich mich deshalb noch wie ein Kind. Warum muss ich aber bereits erwachsen sein? Die Zeit geht sowieso zu schnell vorbei. Ich möchte immer mein Bestes geben. Wen soll ich aber an erster Stelle stolz machen? MICH. Bin ich das? Irgendwie schon. Ich sehe eine Zukunft vor mir. Ich möchte niemanden verletzten oder enttäuschen. Es ist schwierig seine Qualitäten (Eigenschaften) herauszufinden. In der Arbeit bin ich pflichtbewusst, zuverlässig, jeder Auftrag versuche ich zu erledigen. Ich bin aber viel mehr. Ich bin wertvoll. Jeder ist wertvoll…“
Es entsteht innere Zufriedenheit und Gelassenheit
Achtsamkeit bietet die Möglichkeit, sich selbst wahrzunehmen und zu spüren. Durch das Praktizieren der Achtsamkeit entsteht innere Zufriedenheit, Gelassenheit und Ruhen in sich selbst. Der achtsame Umgang mit Emotionen, Mitgefühl und Verbundenheit (Beziehung) sind wichtige Voraussetzungen, um langfristig das eigene Wohlergehen und eine wertschätzende Haltung zu fördern.
Die Jugendberatung Blinker bietet Jugendlichen und jungen Erwachsenen (12-24-jährig) sowie deren Familien oder weiteren Bezugspersonen eine niederschwellige Beratung an.
Von Montag bis Freitag sind wir telefonisch unter 044 730 61 61 erreichbar. Oder schreiben Sie uns an blinker@sd-l.ch. Weitere Informationen finden Sie unter https://sd-l.ch/blinker
Giancarlo Jannuzzi, Kunsttherapeut und Jungenpädagoge, Jugendberatung Blinker, Fachstelle des Sozialdienstes Limmattal Schlieren.